Zielkonflikte aufgezeigt

Zielkonflikte aufgezeigt

Neubruchhausen - 126 stimmberechtigte Delegierte und zahlreiche Gäste aus Politik, Kirche, Verwaltung und Wirtschaft folgten der Einladung des Landvolks Mittelweser in den Saal im Gasthaus zur Post zur Kreisverbandsversammlung 2019. Cord Bockhop, Landrat des Landkreises Diepholz, ging in seinem Grußwort direkt auf die jüngsten Bauernproteste ein: „Sie wurden gehört in der Hauptstadt.“ Er begrüßte, dass die Landwirte deutlich sagten, was sie wollen und ihre Anliegen direkt vortragen. Bockhop selbst betonte, mit der Landwirtschaft im Gespräch bleiben zu wollen und insbesondere beim Thema Wasserqualität mit allen beteiligten Parteien zu sprechen.

Landvolk-Vorsitzender Christoph Klomburg fasst die Gründe der Demonstrationen noch einmal zusammen: „Es findet mit der Politik kein Dialog mehr auf Augenhöhe statt.“ Neben Kritik an den Verbrauchern, die immer mehr Luxus in Form von SUV und Flugreisen wollten, aber gleichzeitig mehr Klimaschutz forderten, stellte er klar: „Der Großteil der Bevölkerung ist mit den Lebensmitteln, die wir herstellen sehr zufrieden. Wer Bio will, muss auch Bio kaufen!“ Verbote in Deutschland, die die Produktion ins Ausland verlagere, wirkten sich keinesfalls positiv auf die Lebensmittel aus. Kürzlich seien Pflanzenschutzrückstände an Importware nachgewiesen worden, die in Deutschland längst verboten seien. Die drohende 20-Prozent-Unterdüngung bezeichnete Klomburg als „Raubbau am Boden“. „Das führt zum Abbau von Humus, der mühsam aufgebaut wurde.“ Das Argument von  Bundesumweltministerin Svenja Schulze, das jeder EU-Bürger jährlich 114 Euro für Agrarsubventionen zahlte, konterte Klomburg: „Was würden die heimischen Lebensmittel ohne die Betriebsprämien kosten?“

Landvolk-Vorsitzender Tobias Göckeritz griff in seinem Vortrag die Zielkonflikte auf, denen sich Bauern ausgesetzt sehen. So widerspricht die reduzierte Stickstoffdüngung dem gewünschten Humusaufbau. Der Ruf nach mehr Außenklimaställen ist nicht mit der Reduzierung von Ammoniakemissionen vereinbar und die unaufhaltsame Ausbreitung des Wolfes kollidiert mit dem Wunsch nach Weidehaltung. „Das Wolfsmanagement in Hannover ist eine Lachnummer“, sagte Göckeritz. „Management bedeutet, dass jemand etwas tut“, stellte er unter großem Beifall der Anwesenden klar. Die größte Diskrepanz sehe er aber zwischen den Wünschen der Verbraucher und dem tatsächlichen Handeln.

Nach dem Geschäftsbericht von Landvolk-Geschäftsführer Olaf Miermeister, der außerdem ausführte, dass die Akquise von Fachkräften immer schwieriger würde, stimmten die Delegierten mit fünf Gegenstimmen und sieben Enthaltungen für eine Beitragserhöhung um 25 Euro, die, so Miermeister, aus der Erhöhung resultiert, die vom Landvolk-Landesverband erhoben würde:“ Der Landvolk-Kreisverband finanziert mit einem Drittel der Mitgliedsbeiträge den Landesverband und dieser weiter den Bundesverband.

Den Gastvortrag hielt in diesem Jahr Susanne Günther. Sie betreibt mit ihrem Mann einen Ackerbaubetrieb mit Putenmast in Hessen und bloggt auf der Internetseite schillipaeppa.net über Agrarthemen. In ihrem Vortrag ging sie der Frage nach, ob man als junger Mensch noch Bauer werden sollte. Ihre Antwort vorweg: „Nein, warum sollte sich das noch jemand antun.“ Die zahlreichen Gründe für das Weiterführen des elterlichen Hofes blieb sie schuldig. Sie sehe den Beruf im Zwiespalt von gesellschaftlichen Ansprüchen und wirtschaftlichen Zwängen. „Die Ansprüche wechseln allerdings über die Jahre ständig“, so Günther. Seit Jahrzehnten gebe es auf der Welt keine produktionsbedingten Hungersnöte mehr. Kunstdünger etwa gelte als die Innovation der Menschheit, die am meisten Leben gerettet habe. Sie kritisierte die Kommunikation der NGO, die gezielt Emotionen der Verbraucher anspreche. „Beim Thema Glyphosat ist immer ein Totenkopf abgebildet. Dabei ist Glyphosat nur als schwach giftig eingestuft und hat selbst gar keinen Totenkopf auf seiner Verpackung“, sagte sie. Bei den Verbrauchern schlüge zudem der Nutzen die Angst. „Gefahr, die von Mikrowellen und Mobilfunkstrahlung ausgeht, wird nicht wahrgenommen, weil das Handy für die Leute nicht mehr wegzudenken ist“, sagte sie.
Auch die Referentin thematisierte die Dissonanz zwischen Handlung und Wünschen der Verbraucher. „Man sollte vielmehr die wirklichen Verkaufszahlen heranziehen, anstatt sich in Umfragen zu verzetteln“, sagte sie im Hinblick auf Tierwohl- und Biosiegel. Obwohl Hessen nur einen Selbstversorgungsgrad von 20 Prozent beim Schweinefleisch hat, formierten sich bei jedem geplanten Stallbau Bürgerinitiativen, die zahlreiche Einwendungen bei Bauanträgen zur Folge hätten, berichtete sie aus ihrer Heimat. Obwohl die Bevölkerung die Proteste überwiegend positiv aufgenommen habe, kam Susanne Günther am Ende ihres Vortrags zu dem Schluss, dass sie ihren Kindern nicht raten könne, Landwirt oder Landwirtin zu werden.

Lüder Wessel, stellvertretender Vorsitzender, blickte in seinem Schlusswort auf die Kreisverbandsversammlung vor zwei Jahren zurück, auf dessen Schlusswort er sich anlässlich der Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl verlässliche Rahmenbedingungen und Gesprächsbereitschaft gewünscht hatte. „Diese Wünsche wurden nicht erfüllt“, so Wessel. „Im Gegenteil. Es ist noch schlimmer gekommen.“ Die Bauerndemos aber, hätten der Bauernseele richtig gut getan.“

Besonders geehrt wurde Marie-Luise Droß, Sekretariat der Geschäftsführung, die in diesem Jahr zum letzten Mal eine Kreisverbandsversammlung organisierte. Nach 22 Jahren beim Landvolk Mittelweser geht Marie-Luise Droß im Frühjahr 2020 in den Ruhestand.

Tobias Göckeritz dankte außerdem Christian Lohmeyer, Mitglied im geschäftsführenden Vorstand, ganz besonders für seinen unermüdlichen Einsatz für den Berufsstand. In kurzer Abfolge postet Lohmeyer seit einem Jahr Videos, in denen er Missstände aufdeckt, wie beispielsweise die Einleitung ungeklärter Abwässer in Oberflächengewässer. „Christian ist mittlerweile bundesweit bekannt und hat in den sozialen Medien eine unglaubliche Reichweite“, so Göckeritz.