„Gesetze werden nicht zu Ende gedacht“

vortrag_licha

Prof. Dr. Tobias Licha referierte über Rückstände aus Gesellschaft und Landwirtschaft in Gewässern.

Liebenau (ine/tb). „Armer Boden macht kämpferische Leute“, sagte Landvolk-Präsident Holger Hennies augenzwinkernd mit Blick auf Tobias Göckeritz und lobte während der Kreisverbandsversammlung des Landvolk Mittelweser in der Schweizerlust in Liebenau dessen bereits 20-jähriges Engagement als Vorsitzender. „Du giltst nicht immer als bequem im Umgang, aber du bist bereit, Entscheidungen zu treffen“, sagte Hennies und fügte an, dass Göckeritz das Landvolk Mittelweser zu einem Verband gemacht habe, „dessen Stimme in Niedersachsen Gewicht hat.“ Mehr persönlichen Einsatz als Tobias Göckeritz könne man für seinen Berufsverband nicht leisten, sagte Hennies und steckte dem immer noch überraschten Vorsitzenden die goldene Ehrennadel ans Revers. „Das ist wirklich eine Freude – danke, mehr kann ich nicht sagen“, erklärte der 64-Jährige, der im kommenden Jahr turnusgemäß aus seinem Amt ausscheidet und aufgrund der in der Satzung verankerten Altersgrenze dann nicht wieder für den Vorsitz kandidieren kann.

Bevor ihn die überraschende Ehrung ereilte, begrüßte Tobias Göckeritz gemeinsam mit Christoph Klomburg neben rund 120 Delegierten zahlreiche Gäste aus Politik, Verwaltung, Beratung, Handel, Banken und Verbänden. Göckeritz stellte dabei in seiner Begrüßung die gute Zusammenarbeit mit der Nienburger Veterinärbehörde heraus.

Dr. Frank Schmädeke, der als stellvertretender Landrat ein Grußwort sprach, freute sich, berichten zu können, dass er in der kommenden Legislatur den Vorsitz im Agrarausschuss des Landtags innehabe. Wie im Koalitionsvertrag verankert, werde die Ausrichtung der Landwirtschaft auf die Herausforderungen der Klimakrise den Schwerpunkt bilden. Hier sieht er neben Wassermanagement, Moorwiedervernässung und Erneuerbaren Energien zahlreiche Themen, die eine Schnittmenge mit dem Umweltressort haben und hält eine enge Zusammenarbeit für sinnvoll. Den Landkreis Nienburg sieht er hier gut aufgestellt, denn: Nur wer Zahlen und Fakten hat, kann in Diskussion treten mit den Ministerien in Hannover und Berlin, so Schmädeke. Der ehemalige Kultusminister und jetzige Vorsitzende der SPD-Fraktion im Landtag, Grant Hendrik Tonne, warb in seinem Grußwort für eine Vertrauenskultur, „weil ich überzeugt bin, dass wir die anstehenden Herausforderungen nur gemeinsam lösen können.“ Den Niedersächsischen Weg stellte er als einmalig heraus, durch die unterschiedlichsten Interessen aller Beteiligten. Hierbei alle an einen Tisch zu bekommen und auf Augenhöhe zu diskutieren sei ein großer Wert in der heutigen Zeit. „Ihre Arbeit ist systemrelevant, hart und wertvoll über Generationen und die Bereitschaft zu Veränderung ist da“, sagte Tonne abschließend. „Sie haben den Wunsch und den Anspruch auf Sicherheit was Investitionen anbetrifft und faire Rahmenbedingungen.“

Vorsitzender Christoph Klomburg gab in seiner Rede einen kurzen Abriss der Kreisverbandsaktivitäten bezüglich Öffentlichkeits- und politischer Arbeit des vergangenen Jahres, ehe er in einem persönlichen Rückblick das Jahr Revue passieren ließ. Im Rahmen der Landtagswahl als auch der Bundestagswahl führte er einige persönliche Gespräche mit Kandidatinnen und Kandidaten. Heftige Kritik äußerte Klomburg an den Plänen der regierenden Ampel-Koalition der Gewinnabschöpfung bei der Biogaserzeugung. „Mit diesem Umsatzdiebstahl stellt sich die Regierung klar gegen Erneuerbare Energien“, sagte Klomburg. Das wirke sich zudem negativ auf die Klimaschutzziele aus. Für die Kommunen bedeute das weniger Gewerbesteuereinnahmen, wertvolle Nahwärmekonzepte wären unwirksam und ohnehin schon knappe Düngemittel fielen weg. Die alternative Freiflächen-Photovoltaik könnten sich nur die wenigsten Berufskollegen leisten. „Wem eine nachhaltig verglaste Landschaft am Ende wirklich nützt, zeigt sich erst später“, so der Vorsitzende.

Deutschland verliert seine Tierhaltung, erklärte Klomburg weiter. Die Tierzahlen fielen in allen Bereichen unterhalb der Selbstversorgung. „Man kann hier nur noch von einem Strukturbruch sprechen.“ Es werde nicht bedacht, welche Risiken das nach sich zieht. Mit viel Geld könnten die Industrienationen zwar Lebensmittel importieren, aber man kaufe diese den Ärmsten vom Teller weg. Die Folge seien Bürgerkriege, Hunger und Flüchtlingsströme.

Kritik äußerte er weiter an den Plänen der Wiedervernässung der Moore. Diese dienen als CO2- und Wasserspeicher, doch solange weltweit in Größenordnungen Moore trockengelegt werden, die die Fläche deutscher Moore weit übertreffen, helfe das dem Klima nicht wirklich. Schon gar nicht den 30.000 Menschen allein im Landkreis Osterholz, die auf Moorstandorten leben und arbeiten, die über Generationen fruchtbar gemacht wurden.

Klomburg zählte einige Widersprüche auf, mit denen die Landwirte aufgrund fehlender Folgenabschätzung zu kämpfen haben: dem Wunsch nach mehr Tierwohl in den Ställen stehen ausbleibende Baugenehmigungen gegenüber, der Ausbau der Weidetierhaltung ist nicht mit der Ausbreitung des Wolfs in Niedersachsen vereinbar, die Gesellschaft ruft nach Humusaufbau in den Böden, die Ausweisung der roten Gebiete führt jedoch zum Abbau von Humus im Boden. „Nicht ein Jahr vergeht, ohne dass neue Verordnungen erlassen oder alte geändert werden“, sagte Klomburg. „Gesetze werden mit heißer Nadel gestrickt, nicht zu Ende gedacht und gehen einseitig zulasten der Landwirte.“ Sein abschließender Appell an die Politik: „Vergessen Sie nicht die ländlichen Regionen und die Menschen, die dort leben.“

„Für uns ist es wichtig, dass wir uns mit Fakten beschäftigen“, sagte Tobias Göckeritz und reichte das Mikrofon an Prof. Dr. Tobias Licha weiter. Der Professor für Hydrogeochemie an der Ruhr-Universität Bochum bewies bei seinem Vortrag einen bisweilen trockenen Humor und hielt ein launiges und mit vielen Fakten unterfüttertes Plädoyer dafür, im Hinblick auf Boden- und Grundwasserschutz zielführende Maßnahmen zu planen und diese auch laufend zu überprüfen. „Was ist einfacher, als nichts mehr aufzubringen und morgen ist alles in Ordnung? Das geht nicht“, nahm er insbesondere allen Politikern Illusionen, dass sich bestimmte Einschränkungen beispielsweise bei der Düngung zeitnah positiv auf die Grundwasserqualität auswirken. „Wir finden heute noch Atrazin im Grundwasser – das ist seit 1992 in Deutschland verboten“, nannte Licha ein Beispiel. Rund 46.000 Tonnen Human-Arzneimittel würden in Form von 2.671 Wirkstoffen in rund 9.000 Präparaten pro Jahr in Deutschland im Abwasser landen. Dem gegenüber stünden 28.000 Tonnen Veterinärpharmaka mit 270 Wirkstoffen und 753 Mitteln. Letztere seien im obersten Bodenhorizont kaum nachweisbar, so Licha. Gemeinsam mit seinem Team nimmt er viele Messungen vor und erstellt Wassersicherheitspläne: „Man muss wissen, wo die Sachen herkommen. Und nicht erst handeln, wenn der Dreck da ist.“ Große Gefahren für unerwünschte Einträge in Boden und Grundwasser sah er überdies an Stellen, die die Politik derzeit nicht im Fokus hat: So könnten Erdwärmesondenanlagen durch eine unsachgemäße Abdichtung der Bohrungen neue Transportpfade für Nitrat und andere Stoffe in den unteren Grundwasserleiter eröffnen. Zudem würde beispielsweise der seit 1997 in der Landwirtschaft verbotene Wirkstoff Terbutryn zunehmend im Fall von Hausdämmungen für den Außenanstrich genutzt – und über Natureinflüsse wie Regen dann wieder Richtung Boden und Grundwasser ausgespült.

 

Videos der Kreisverbandsversammlung:

  • Vorsitzender Tobias Göckeirtz eröffnete die Kreisverbandsversammlung
  • Dr. Frank Schmädeke
  • Grant Hendrik Tonne
  • Landvolk-Vorsitzender Christoph Klomburg
  • Landvolk-Geschäftsführer Olaf Miermeister
  • Dr. Holger Hennies
  • Landvolk-Präsident Dr. Holger Hennies überreichte Tobias Göckeritz die goldene Ehrennadel des Landesbauernverbandes.
  • Für 20 Jahre im Ehrenamt wurden Heinrich Knake-Stolte (Hesterberg), Jörn Rohlfing (Binnen) und Joachim Masemann (Hustedt) geehrt.
  • Tobias Göckeritz (links) und Christoph Klomburg (rechts) verabschiedeten Heinfried Engelking (Harrienstedt) (3. v. l.), Georg-Wilhelm Giese (4. v. l.), Heinrich Schlemermeyer (Holte/Langeln) (3. v. r.) und Christian Meyer (Bezirkssprecher Hoya/Eystrup) (2. v. r.) aus dem Ehrenamt. Hans-Joachim Twachtmann (Wellie) (2. v. l.) wurde für 20-jähriges Engagement im Ehrenamt geehrt.
  • Prof. Dr. Tobias Licha